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AutorenbildJudith Büthe

PINAR // Refugee Law Clinic Bochum e.V.

Bochum, 2023


Im November traf ich mich für ein Interview mit Pinar an der Ruhr-Universität Bochum. Während unseres Gesprächs gewährte sie Einblicke in ihr Jura-Studium, schilderte, wie sich ihre anfänglichen Vorstellungen im Laufe der Zeit verändert haben, und erklärte wie sie letztlich zu ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für die Refugee Law Clinic kam.





Weshalb und wann hast du die Entscheidung getroffen, Jura zu studieren?

Das war absolut nicht meine Absicht. Eine kleine Anekdote dazu: In der achten Klasse stand ich mit meiner Mutter in der Küche und wir haben über die Zukunft gesprochen. Ich sagte ihr: „Mama, ich will Sozialarbeiterin werden!“ Sie hat große Augen gemacht und auch gleich ihre Bedenken geäußert. Meine Mutter kommt aus einer Arbeiterfamilie und musste für alles kämpfen – es ging darum, Geld zu verdienen. Im weiteren Gespräch hat sie versucht, mich von der Idee zu überzeugen, etwas „Vernünftiges“ zu studieren, etwas wie Jura. Rückblickend hätte ich nicht so widerspenstig sein sollen (lacht). Jetzt sitze ich hier als Juristin.


Nach dem Abi war mir also noch nicht klar, dass ich je Jura studieren würde. Ich habe mich für verschiedene Studiengänge beworben und dachte: „Jura wäre schon ganz cool.“ Und dann wurde ich sowohl in Mainz als auch random in München angenommen. Ich wollte nach Mainz, hatte aber nicht das Geld dafür. In Bochum stand ich derzeit noch auf der Warteliste, aber ich war ungeduldig as fuck und dachte mir: „Scheiß drauf, ich fange mit Philosophie und Germanistik an.“ Das Semester mochte ich sehr, auch die Leute, mit denen ich studiert habe, aber dann doch alles auf eine Karte gesetzt und bin zu Jura gewechselt.



Inwiefern haben sich deine anfänglichen Vorstellungen vom Jura-Studium im Laufe der Zeit verändert, und welche Erfahrungen prägen heute deine Sicht darauf?


Erwartungen und Realität unterscheiden sich doch sehr, das ist mir heute klar. Nach 7 Jahren Jura merke ich, dass sich auch mein Charakter durch das Studium verändert hat. Ich gehe stumpfer an Dinge heran, das bringt das Studienfach mit sich.


Das Studium ist aber auch nicht so trocken, wie man alle denken: Wir arbeiten an konkreten Fällen und wenden unser Wissen direkt an. Es macht mir wirklich Spaß – selbst Zivilrecht, was eigentlich nicht mein Fall ist. Strafrecht hingegen ist es nüchtern und stumpf und selbst wenn es um Mordfälle geht, berührt mich das nicht wirklich, weil es wie erwähnt konstruierte Fälle sind, an denen wir arbeiten.



Ab welchem Zeitpunkt hast du Interesse für Asylrecht / Migrationsrecht entwickelt?


Im ersten Semester wurde ich durch die RUB (Ruhr-Universität Bochum) auf die RLC (Refugee Law Clinic) aufmerksam, meldete mich an, musste aber feststellen, dass das Jura-Studium und ehrenamtliche Tätigkeit für mich zu der Zeit nur schwer zu vereinen waren. Das Studium hatte Priorität und es wurde uns auch so von Beginn an vermittelt – das Studium ist alles. Besonders bei uns in Bochum, wo nicht alle Studis in der x-ten Generation Jura studierten – aus Richterfamilien kommen. Ein Professor ermutigte uns, meinte, wir, die wir aus Arbeiterfamilien kommen, sollen uns nicht einschüchtern lassen. Er sei den Weg gegangen, also würden wir es auch schaffen. Trotzdem habe ich mich dann für die Arbeit bei der RLC entschieden, die zu der Zeit total im Wandel war. Wir mussten schauen, dass Grundstrukturen und auch die Aktivität wieder ans Laufen kamen. Gemeinsam mit zwei Kommilitonen, Lisa und Eric, habe ich gemeinsam begonnen die RLC wieder aufzubauen. Das war gut und hat große Freude gemacht und bald war ich trotz des ersten Staatsexamens vollständig in die Arbeit mit der RLC versunken.


Wichtig in dem Kontext ist vielleicht auch: Migrationsrecht als solches hat nichts mit dem Jura-Studium zu tun und ist somit auch nicht prüfungsrelevant. Es gibt wenige Dozent*innen für Migrationsrecht, und entsprechend wird es nur an einige Universitäten angeboten. Wenn du nicht für die RLC arbeitest oder dich engagierst, hast du im Studium maximal nichts mit Migrationsrecht zu tun. Ich bin auch nur über die RLC in den Bereich gekommen.





Was genau ist die Refugee Law Clinic?


Die RLC Bochum ist ein eingetragener studentischer Verein, der Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund ehrenamtlich in Fragen des Aufenthaltsrechts, Asyls und Migrationsrechts berät. Wir arbeiten ehrenamtlich als studentische Beratung – Recherche und Fallarbeit liegt dann bei uns, wobei wir von Anwält*innen beaufsichtigt werden.


Welche Größe hat euer Verein und wie ist die Struktur der Refugee Law Clinic aufgebaut?


Das variiert stark – einige sind unabhängige Vereine, andere wieder stark an die jeweilige Uni gebunden. Wir hier in Bochum, sind ein unabhängiger eingetragener Verein mit knapp unter 200 Mitgliedern, wobei es eine Menge Leute darunter gibt, die sich nicht aktiv einbringen. Insgesamt gibt es 35 unabhängige RLCs in Deutschland, jede mit unterschiedlichen Strukturen und Größen. Ein Bundesverband existiert ebenfalls und sorgt für Vernetzung und Austausch untereinander.


Inwieweit seid ihr in Prozesse bzw. Verfahren involviert?


Die RLC Bochum darf nicht vor Gericht vertreten, kann jedoch im Namen der Hilfesuchenden Anträge vorbereiten. Die Unterstützung reicht bis zur Klageschrift, aber nicht zur Vertretung vor Gericht.


Warum ist eure Arbeit notwendig, und wie gestalten sich staatliche Unterstützungsangebote in diesem Bereich?


Staatliche Angebote decken den Bedarf nicht. Die RLC bietet Hilfe nicht nur während der Asylverfahren, sondern auch danach, wenn bei negativer Entscheidung andere Wege über das Aufenthaltsgesetz gefunden werden müssen. Der Bedarf an kostengünstiger oder gar kostenfreier rechtlicher Unterstützung ist hoch und die entsprechenden Angebote nicht genug.

Könntest du konkrete Beispiele für die Interaktion mit euren Klienten bzw. den zeitlichen Rahmen eures Unterstützungsangebots geben?


Kontaktgestaltung kann vielfältig aussehen. Von regelmäßigem Austausch bis zu einmaligen Beratungen reicht die Bandbreite. Einige Mandanten bleiben über längere Zeiträume in Kontakt mit uns, dann begleiten wir auch Termine bei der Ausländerbehörde mit, während sich andere nach der ersten Beratung nicht mehr melden. Dann gibt es aber auch Fälle, Klienten, mit denen man lose in Kontakt bleibt. Einer meiner ersten Klienten kam damals minderjährig und alleine in Deutschland an. Wir haben seinen Fall betreut und bis heute meldet er sich in längeren Abständen immer mal wieder bei mir.


Auf welche Weise können Menschen, die Hilfe benötigen, mit euch in Verbindung treten?

Die Kontaktaufnahme erfolgt aktuell per E-Mail. Vor der Coronapandemie gab es eine offene Sprechstunde im „SQUARE“ in der Innenstadt. Wir arbeiten daran, bald wieder eine Sprechstunde anbieten zu können. Alle Informationen dazu gibt es dann auf unserer Homepage.


Wie viele Mitglieder und ehrenamtliche Helfer*innen hat euer Verein?


Unsere Mitgliederliste in Bochum umfasst knapp unter 200 Personen, wobei ein Großteil inaktiv ist. Wir haben deshalb auch unser „Ausbildungssystem“ überarbeitet, um sicherzustellen, dass nur noch engagierte Personen aktiv werden, bzw. beitreten, die dann auch wirklich Rechtsberatungen durchführen. Infolgedessen haben wir die Hürden für die Beratung angepasst, um sicherzustellen, dass diejenigen, die sich engagieren, intensiver und nachhaltiger in der RLC arbeiten können: Die Teilnahme an Vorlesungen mit Anwesenheitspflicht ist nun obligatorisch, um sicherzustellen, dass grundlegende Kenntnisse vorhanden sind. Es gibt wöchentlich stattfindende Vorlesung und eine anschließende praktische Ausbildung, die verschiedene interdisziplinäre Workshops beinhaltet und auch die Einarbeitung in die Beratungspraxis. Ein Motivationsschreiben ist dann Voraussetzung für die Beratungsausbildung. Wir wollen damit ein Stück weit verhindern, dass Leute lediglich eine Bescheinigung abgreifen wollen, um ihren Lebenslauf aufhübschen.


Welche Motivation steckt hinter deinem Interesse am Migrationsrecht und deinem ehrenamtlichen Engagement in der Refugee Law Clinic?


Mein Interesse am Migrationsrecht entstand ehrlich gesagt durch ein Zufall. Durch meine Arbeit bei der RLC, bin ich dem Ganzen dann schnell verfallen und habe bereits während meines Studiums erkannt, dass ich später als Migrationsrechtlerin arbeiten möchte. Mein Ziel ist es, Betroffenen den Zugang zu ihrem Recht zu ermöglichen, da geflüchtete und eingewanderte Menschen oft mit großen bürokratischen und rechtlichen Hürden konfrontiert sind. Die RLC hat mir letztlich die Möglichkeit geboten, Jura, soziale Themen und ehrenamtliches Engagement zu kombinieren.



Was macht die Arbeit bei der RLC mit dir?


In der Arbeit für die RLC gibt es so viele negative Dinge, aber wenn ich bei hundert frustrierenden Fällen dann bei dem einen weiterkomme, macht mir das Mut und motiviert mich weiterzumachen. Manchmal denke ich ganz egoistisch, dass mich diese Arbeit unglücklich macht, totaler Weltschmerz, aber ich kann die Distanz inzwischen wahren und ich kann effektiv helfen, also mache ich weiter. Aber ohne emotional dabei zu werden. Ich funktioniere nicht gut, wenn ich emotional bin. In den freien Phasen meines Studiums, die wirklich selten waren, habe ich einmal mehr gemerkt, wie wichtig für mich eigentlich Familie und Freunde sind. Mein Netzwerk aus guten Menschen, die ich brauche, um mich komplett zu fühlen – das ist keine Selbstverständlichkeit für mich. Ich lerne gerade wieder, wie gut das ist, auch mal Freizeit zu haben – wegzufahren und Zeit mit meinen Leuten zu verbringen. Zugleich weiß ich aber auch: ohne die Arbeit für die RLC und all den Trubel wäre ich auch nicht glücklich, da würde etwas fehlen.


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