JUDITH BÜTHE
„HALDI47“
Ein Interview mit Lena und Eva, Hausbesetzerinnen
Bochum, 2023
Ihr habt die "Haldi47" in Bochum-Hamme bereits am 15.10.2022 besetzt.
Inzwischen kommuniziert ihr die Haldi47 als Hausprojekt. Was hat sich im Laufe der Monate getan?
Lena: Die Hausbesetzung als Aktion stand für sich: Wir wollen aufmerksam machen auf den Leerstand in der Stadt. Und das, während Menschen sich wohnen, an vielen Stellen nicht mehr leisten können oder Geflüchtete schlichtweg in Turnhallen gesteckt werden. Das ist unsere Intention. Und diese Aufmerksamkeit konnten wir mit dieser Besetzung schaffen: Deshalb kommunizieren wir auch – nach Absprache in der Gruppe – mit entsprechenden Medienvertreter*innen. Das Thema muss aufrechterhalten werden. Mit der Zeit und einem gewissen Abstand zum Tag der Besetzung ist das Interesse und somit die Anfragen zurückgegangen. Ich finde das einerseits schade, auf der anderen Seite weiß ich, wie viel anderes wir zeitgleich in den letzten Monaten organisiert und realisiert haben. Jetzt, wo feststeht, dass wir Ende des Monats endgültig aus der Haldi rausmüssen, wollen wir das Hausprojekt noch einmal aufleben lassen.
Eva: Ich finde es wichtig, dass mit Medien allgemein kommuniziert wird. Wir haben hierfür sogar ein Pressehandy angeschafft. Wir wollten und wollen, dass die Haldi47 in die Öffentlichkeit kommuniziert wird. Wichtig sind aber auch unsere eigenen Kanäle, über die wir informieren. Die Haldi ist inzwischen vom besetzten Haus zum offenen Projekt geworden – es gibt die Möglichkeit ins Haus zu kommen. Dennoch braucht es auch weiterhin kontrollierbare Öffentlichkeit. Es ist gut und schön zu kommunizieren, aber natürlich ist es uns wichtig, mit wem gesprochen wird.
Wie viele seid ihr?
Lena: Das ist schwierig zu sagen, da es bei solchen Projekten immer Fluktuation gibt. Gerade zu Beginn, also direkt nach der Besetzung waren sehr viele Menschen da und haben sich beteiligt. Ich würde sagen, dass der „harte Kern“ von Menschen, die von Beginn an und bis jetzt regelmäßig bei Plena waren und mal mehr, mal weniger mit geplant und organisiert haben, bei vielleicht 10 - 15 Personen liegt. Es gibt aber allgemein ein größeres Umfeld von Menschen, die regelmäßig an der Haldi sind – unterstützen und/oder einfach eine gute Zeit miteinander genießen.
Wie ist eure Erfahrung mit der Nachbarschaft?
Lena: Uns war es von Beginn an ein Anliegen, die Nachbarschaft mit einzubeziehen. Wir haben auch gleich in der ersten Woche ein Nachbarschaftsfest organisiert, um den Leuten die Möglichkeit zu geben uns und unser Anliegen kennenzulernen. Hier kam wirklich viel positive Resonanz. Und da war nicht nur Interesse, sondern auch von allen Seiten das Angebot, uns mit Sachspenden zu unterstützen. Mit Blick zurück auf die Anfangszeit ist dieser Austausch in den vergangenen Monate zurückgegangen. Nach den zurückliegenden Übergriffen auf die Haldi, gibt es wieder vermehrt von allen Seiten Solidaritätsbekundungen.
Wie erfahren interessierte Menschen von euch? Wie kommuniziert ihr euer Anliegen, eure Forderungen, aktuelle Entwicklungen und Veranstaltungen?
Lena: Die Kommunikation läuft größtenteils digital, über Instagram, um ein Beispiel zu nennen. Da ist es dann eher die eigene Blase, die wir erreichen. Deshalb war klar, wir plakatieren und flyern parallel dazu, weil es doch irgendwie dazu gehört und definitiv in der Nachbarschaft Menschen abholt, die wir sonst nicht erreichen würden, außer natürlich die, die szenentechnisch eh bereits mit uns verbunden sind.
Wenn neue Leute dazukommen, also die Haldi besuchen, dann ist das meist einmalig oder besser gesagt unregelmäßig, vielleicht, weil es eher die Neugierde ist, einmal einen Blick in unser Hausprojekt zu werfen. Was wirklich besonders ist: durch die Besetzung der Haldi haben sich verschiedene politisch aktive Gruppen und Initiativen zusammengetan, sind nun miteinander vernetzt – auch generationsübergreifend. Ich hoffe sehr, dass das über die Zeit des Hausprojekts hinweg bestehen bleibt. Klar, vorrangig ist das hier eine zeitlich begrenzte Hausbesetzung. Die Haldi ist aber inzwischen mehr als das: Sie ist nach einem halben Jahr zu einem Hausprojekt geworden, bietet Schutz- und Wohnraum, in dem man sich frei bewegen kann. Ein Ort, an dem Dinge bewegt werden, Menschen aufeinandertreffen und den Austausch suchen – wo man sich wohlfühlen kann.
Was bezweckt bzw. was konkret bewirkt ihr mit der Besetzung der Haldi47?
Lena: In Hinblick auf die Thematik der Wohnraumpolitik als Hintergrund der Haldi47, bringt die Besetzung vor allem eins: Aufmerksamkeit! Zum einen in der Presse, die uns gerade zu Beginn viel thematisiert hat, zum anderen in der Nachbarschaft. Die Haldi ist ein Ort, an welchem sich über diese Thematik ausgetauscht werden kann, also ein Ort der Vernetzung, an dem teilweise auch Menschen zusammenkommen, die sonst vielleicht nie miteinander (über solche Themen) gesprochen hätten. Von Beginn an sind hier super viele solidarische Menschen zusammengekommen, mit denen man u. a. den Frust über gesellschaftliche Systeme teilen und einander empowern kann. Dieses solidarische Beisammensein in einem Freiraum hat mir persönlich gutgetan und mir zugleich wieder mal aufgezeigt, nicht allein mit meinem Frust und meinen Vorstellungen zu sein.
Mit Rückblick auf den Tag der Besetzung: Wie waren eure Pläne? Habt ihr ein alternatives Wohnprojekt für realistisch gehalten?
Lena: Bei der Besetzung im Oktober waren einfach so viele Cops hier... Wir sind nicht davon ausgegangen, dass wir überhaupt länger als ein paar Minuten gegenhalten können. Wir haben in dem Moment nicht damit gerechnet, dass die Haldi langfristig existieren wird. Da war mehr Glück als Verstand. Das ist jetzt sechs Monate her (lacht).
Eva: Die Cops waren quasi vor uns da. Trotzdem haben wir es geschafft. Aber es gab halt auch echt krasse Solidarität auf der Straße – von Anfang an eigentlich. Das hat uns dabei geholfen: Uns wurde direkt Essen gebracht, Musik, Möbel und vieles mehr.
Lena: Das Stimmt. Vor dem Haus und im Haus war einfach Solidarität. Und es sind mit der Zeit immer neue Leute dazugekommen und wie schon erwähnt, haben sich schnell Gruppen zusammengeschlossen.
Wie gestaltet sich der Austausch zwischen der Stadt Bochum und euch?
Lena: Seitens der Politik, also der Stadt Bochum kam nichts. Dafür war das mediale Interesse von Beginn an da. Es gab maximal eine Solidaritätsbekundung seitens einer Partei hier in der Stadt. Das war nach den Übergriffen auf die Haldi47. Davor und danach kam nichts. Der Austausch zwischen der Diakonie als Ansprechpartnerin für die Haldi und uns ist dafür super. Es wäre spannend zu wissen, wie die Besetzung und/oder das Hausprojekt verlaufen wäre, wenn die Stadt Ansprechpartnerin wäre.
Im März kam es zu einem Übergriff Dortmunder Neonazis auf die Haldi47. Welche Auswirkung hat dieser auf euer persönliches Gefühl und euer Konzept eines „offenen Hauses“?
Lena: Ich war persönlich während des Übergriffs nicht im Haus. Dennoch hat sich für mich – wie für die meisten hier – einiges geändert. Das Gefühl, wenn ich hier bin ist anders. Außerdem müssen wir im Haldi-Alltag auf unsere Sicherheit achten. Als Hausprojekt waren und sind hier immer neue Leute willkommen und die Tür stand offen. Das Haus wird seither aber abgeschlossen. Und wenn heute Leute in der Haldi übernachten, jetzt nach den Übergriffen, achten wir sehr darauf, dass immer genügend Personen hier sind. Wir wollen unbedingt weitermachen, Widerstand leisten und bis zum Ende ein offenes Haus bleiben!
Ihr versteht die „Haldi47“ als Hausprojekt, als einen Freiraum für alle. Wie stett ihr dem Begriff des tatsächlichen Besitzes gegenüber?
Lena: Ich betrachte Besitz in erster Linie als Produkt des Kapitalismus. Wenn dieser dazu führt, dass die besitzenden Menschen daraus extremen Profit ziehen, während andere wiederum ausgebeutet werden oder aufgrund der Profitgier Nachteile erfahren, lehne ich das konsequent ab. Wenn ich das im Kontext von Wohnraum betrachte, sehe ich es extrem kritisch, dass immer wieder einzelne Besitzer*innen oder Unternehmen als Gewinner*innen des kapitalistischen Systems hervorgehen, während andere darunter leiden.
Wie viel Organisation steckt hinter einer Besetzung wie die der Haldi47? Wie viel Orga oder gar Struktur bedarf ein Hausprojekt wie das eure?
Lena: Gerade am Anfang war der Orga-Aufwand extrem groß: da waren plötzlich ganz viele, extrem unterschiedliche Menschen, die an diesem Projekt teilhaben wollten und wir mussten überlegen, was in der Haldi alles passieren soll. Da einen Konsens zu finden, Struktur zu schaffen und dafür zu sorgen, dass sich möglichst alle wohlfühlen, hat auf jeden Fall einige Zeit und Geduld in Anspruch genommen.
Außerdem mussten wir das Haus und den Garten ‚aufhübschen‘, den Kontakt mit der Eigentümerin des Hauses suchen, Öffentlichkeitsarbeit leisten, die Nachbarschaft einbeziehen und und und... Mit der Zeit ist der Organisationsaufwand immer mehr zurückgegangen, weil dann schon ein gewisses Konzept für das ganze Projekt „Haldi47“ erarbeitet wurde und mehr oder weniger funktionierende Dynamiken entstanden sind. Mittlerweile müssen vor allem konkrete, größere Veranstaltungen geplant werden. Dann hängt es halt von den Kapazitäten der beteiligten Menschen ab – entsprechend viel passiert dann letztlich auch.
Was wünscht ihr euch mit Blick auf die Thematik „Wohnraum“ hier in Bochum und/oder städteübergreifend? Was fordert ihr konkret seitens der Entscheidungsträger*innen?
Lena: Es kann einfach nicht sein, dass Wohnen zum Luxus wird. Allein in Bochum sind fast 1.000 Menschen wohnungslos und es werden immer mehr. Gleichzeitig gibt es immer mehr Leerstand, der entweder bewusst leer stehen gelassen wird oder eben teuer saniert und zu Luxusimmobilien umfunktioniert werden.
Sozialer Wohnungsbau fällt dabei mehr und mehr in den Hintergrund und es wird immer schwieriger überhaupt bezahlbaren Wohnraum zu finden und das in Zeiten der Krisen und Inflation. Ganz zu schweigen von Diskriminierung aufgrund von Herkunft, sexueller Identität oder Krankheit, welche auch auf dem Wohnungsmarkt keinen Halt macht. Oder gar der Fakt, dass trotz des massiven Leerstands immer noch Geflüchtete in Turnhallen untergebracht werden. Wohnraum darf einfach kein kapitalistisches Gut sein! Wir brauchen angemessenen und bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen und keine weiteren Luxussanierungen. Statt auf Modernisierung und Privatisierung muss der Fokus auf der Förderung sozialen Wohnungsbaus liegen. Leerstand sollte als Wohnraum oder auch als soziale und kulturelle Orte für alle Menschen nutzbar gemacht werden. Das Grundrecht auf Wohnen darf nicht weiter Teil des kapitalistischen Systems sein.
Was folgt auf die Haldi?
Lena: Wir wollen die Thematik weiterhin im Gespräch halten. Wie und auf welche Art können wir jetzt noch nicht sagen. Sollte sich eine Möglichkeit ergeben, werden wir sie sicher nutzen.
Das Thema ist relevant und verliert ja mit Ende der Hausbesetzung nicht an Wichtigkeit.
Eva: Ich denke auch, dass Leute von uns weitermachen, wenn auch in anderer Form.
Lena: Für uns ist es wirklich schön – abseits der Besetzung der Haldi47, zudem einen Freiraum für Menschen geschaffen zu haben. Es wäre schön, wenn im Nachgang – dann leider ohne die Haldi als Ort der Begegnung und des Austauschs – diese Verbindungen bestehen bleiben würden. Die Menschen hier haben Bock darauf weiterzumachen. Vielleicht trifft man sich demnächst an einem anderen Ort – diskutiert gemeinsam, lädt zu Vorträgen oder ähnlichem ein, hat eine gute Zeit miteinander.